Grenzen der Dublin-Haft von Familien im Fokus des Bundesgerichts

Sarah Progin-Theuerkauf / Salome Schmid

Am 26. April 2017 entschied das Bundesgericht in einem Grundsatzentscheid (BGE 2C_1052/2016 vom 26. April 2017) zur Dublin-Haft, dass die separate Inhaftierung von Mitgliedern einer afghanischen Familie sowie die Fremdplatzierung der betroffenen Kinder das in Artikel 8 EMRK garantierte Recht auf Familienleben verletzt habe. Die Inhaftierung des Ehepaares im Kanton Zug liess sich zudem laut Bundesgericht nur «knapp » nicht als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung gemäss Artikel 3 EMRK qualifizieren. Das Urteil ist von erheblicher Bedeutung, da es für zukünftige Fälle von Dublin-Haft (und auch für alle anderen Fälle ausländerrechtlicher Administrativhaft) die Weichen stellt. Nun steht fest, dass eine Trennung von Familien aufgrund der Inhaftnahme der Eltern nur in äussersten Ausnahmefällen angeordnet werden kann.

Zitiervorschlag: Sarah Progin-Theuerkauf / Salome Schmid, Grenzen der Dublin-Haft von Familien im Fokus des Bundesgerichts, in: sui-generis 2017, S. 85

URL: sui-generis.ch/36

DOI: https://doi.org/10.21257/sg.36


I. Sachverhalt

Die afghanische Familie A. reiste im Mai 2016 von Norwegen über Deutschland illegal in die Schweiz ein und stellte am 30. Mai 2016 ein Asylgesuch. Die Familie bestand zu diesem Zeitpunkt aus den Eltern sowie drei Kindern zwischen drei und acht Jahren, wobei Frau A. mit einem vierten Kind im achten Monat schwanger war. Die Familie wurde für die Dauer des Asyl- und Wegweisungsverfahrens dem Kanton Zug zugewiesen.

Nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin III-Verordnung[1] erachtete das Staatssekretariat für Migration (SEM) Norwegen als zuständigen Staat für die Prüfung des Asylgesuchs, weshalb auf das Gesuch der Familie nicht eingetreten und deren Wegweisung nach Norwegen verfügt wurde. Am 16. August 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Überstellungsentscheid erhobene Beschwerde ab.

Nachdem am 5. Oktober 2016 ein unbegleiteter Rückführungsversuch nach Oslo abgebrochen wurde[2], leitete das Migrationsamt des Kantons Zug eine begleitete Rückführung in die Wege. Zum Zwecke der Sicherstellung der Überstellung ordnete das Migrationsamt des Kantons Zug für das Ehepaar A. die in Art. 76a Abs. 3 lit. b. AuG[3] vorgesehene ausländerrechtliche Administrativhaft, die sogenannte Dublin-Haft, an. Frau A.A. wurde daraufhin mit ihrem inzwischen viermonatigen Baby im Flughafengefängnis Zürich, ihr Ehemann A.B. in der Abteilung Ausschaffungshaft der Strafanstalt Zug untergebracht. Die drei älteren Kinder wies die zuständige Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) unter Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Eltern in ein Kinderheim ein.

Die Beschwerdeführenden A.A. und B.A. stellten beim kantonalen Verwaltungsgericht einen Antrag auf Haftprüfung und Aufhebung der sechswöchigen Haftanordnung. Letztere wurde jedoch von der Haftrichterin bestätigt und die Familie A. am 25. Oktober 2016 mit einem Sonderflug nach Norwegen rückgeführt.

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gelangten die Beschwerdeführenden[4] an das Bundesgericht, welches nun beurteilen musste, ob in ihrer Behandlung eine Verletzung von Art. 3 EMRK[5], Art. 5 Abs. 1 EMRK und Art. 8 EMRK zu sehen sei.

II. Zu den Erwägungen des Bundesgerichts

In seinem Urteil setzt sich das Bundesgericht in einem ersten Schritt (vgl. E. 2.) mit der Frage auseinander, ob die Trennung der Familienmitglieder bei der Inhaftierung für die Beschwerdeführenden einen Verstoss gegen das Verbot der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gemäss Art. 3 EMRK dargestellt hat.

Das Bundesgericht hält fest, dass die Anhaltspunkte des Einzelfalls eine gewisse Schwere aufweisen müssten, um unter das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu fallen. Weiter verweist das Bundesgericht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)[6], nach der die Inhaftierung von Kindern in einer nicht kindergerechten Umgebung nicht nur für die Kinder selbst eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bedeuten kann, sondern auch für deren nahe Familienangehörige. Ausschlaggebend sei die nahe und schutzwürdige Beziehung zwischen dem Kind und dem betreffenden Familienangehörigen, die Art und Weise, wie der Familienangehörige selbst Zeuge der Behandlung wird, und die Reaktion der Behörden auf die Beanstandungen der Familienangehörigen.

Im vorliegenden Fall anerkennt das Bundegericht den erheblichen Stress, die Ohnmachtsgefühle und die «menschliche Not», die das Ehepaar empfunden hat. Diese sei insbesondere durch den verwehrten telefonischen Kontakt untereinander und zu den Kindern intensiviert worden. Aufgrund des Umstands, dass die Kinder sich in einer kindsgerechten Unterbringung befanden, sei jedoch die Schwelle einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung der Beschwerdeführenden durch den vorliegenden Sachverhalt «knapp noch nicht» erreicht worden.

Zweitens (vgl. E. 3.) prüft das Bundesgericht, ob ein Verstoss gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK feststellbar sei, wonach die Freiheit einer Person nur in den aufgeführten Fällen und in der vom Gesetz vorgegebenen Weise entzogen werden darf.

Die Haftgründe im Falle einer Dublin-Haft seien in Art. 76a AuG geregelt[7]. Danach könne eine Person zur Sicherstellung der Wegweisung in einen anderen Dublin-Staat in Haft genommen werden, wenn im Einzelfall konkrete Anzeichen dafür bestünden, dass sich die Person der Durchführung der Wegweisung entziehen wolle, die Haft verhältnismässig sei und sich keine milderen Massnahmen wirksam anwenden liessen. Nach der Dublin III-Verordnung darf eine Person nicht allein aus dem Grund inhaftiert werden, dass sie sich in einem Dublin-Verfahren befindet (Art. 28 Abs. 1 Dublin III-VO).

Das Bundesgericht betont unter Verweis auf seine Rechtsprechung[8], dass die konkreten Anzeichen, dass sich eine Person der Durchführung der Wegweisung entziehen wolle, in Art. 76a Abs. 2 AuG abschliessend umschrieben seien und erheblich sein müssten.

Der Schutz der EMRK gehe in Fällen der Auslieferungs- oder Ausschaffungshaft (Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK) weniger weit als in den in Art. 5 Abs. 1 lit. c EMRK vorgesehenen Haftkonstellationen[9]. Die Voraussetzungen für eine Haft nach Art. 5 Abs. 1 lit f. EMRK seien gegeben, wenn ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren hängig sei und die Haft zu dessen Sicherung angeordnet werde. Der EGMR beziehe jedoch die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in die Würdigung mit ein und habe eine spezifische Rechtsprechung zur ausländerrechtlichen Inhaftierung von Erwachsenen entwickelt, die auf ihrer Flucht von Kindern begleitet werden[10]. Ob im vorliegenden Fall den Beschwerdeführern rechtmässig die Freiheit entzogen wurde bzw. der in der Heimeinweisung zu erblickende rechtliche Freiheitsentzug der Kinder[11] rechtmässig war, könne jedoch insbesondere deswegen offen bleiben, weil die Beschwerde wegen Verletzung von Art. 8 EMRK (dazu sogleich) ohnehin gutzuheissen sei.

Abschliessend (vgl. E. 4) widmet sich das Bundesgericht der Frage, ob das Ehepaar A. in seinem Recht auf Schutz der Familie gemäss Art. 8 EMRK verletzt wurde. Das Bundesgericht kritisiert hier, dass die Behörde durch die wegen der Inhaftierung ihrer Eltern erst nötig gewordene Anordnung der Unterbringung der Kinder im Heim deren Status als unbegleitete Minderjährige selbst herbeiführt und ihre Zusammenführung mit nahen Verwandten verhindert habe. Zu letzterer sei sie nach Art. 8 EMRK jedoch verpflichtet gewesen. Ein derartiger Eingriff sei nur zulässig, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage beruhe und im überwiegenden öffentlichen Interesse erfolge, wobei bei der Interessensabwägung das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen sei. Das Bundesgericht betont, diesem komme dabei eine «herausragende Bedeutung» zu.

Die separate Inhaftierung komme als Eingriff in das Recht auf Familienleben und unter Berücksichtigung des Kindeswohls ausschliesslich als ultima ratio in Frage. Dabei müssten vorgängig weniger einschneidende Massnahmen geprüft werden, beispielsweise die Unterbringung der Familie in kantonseigenen Liegenschaften oder durch den Kanton gemieteten Unterkünften. Diese Prüfung sei von der Vorinstanz nicht vorgenommen worden, weshalb die getrennte Inhaftierung des Ehepaares A. und die Fremdplatzierung ihrer drei ältesten Kinder nicht als ultima ratio angesehen werden könne.

Aus diesem Grund kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass der Eingriff in das Recht der Beschwerdeführenden auf Familienleben unverhältnismässig war und heisst die Rüge der Verletzung von Art. 8 EMRK gut.

III. Kommentar

Das Urteil ist von erheblicher Bedeutung, da es für zukünftige Fälle von Dublin-Haft (und auch für alle anderen Fälle ausländerrechtlicher Administrativhaft) die Weichen stellt. Nun steht fest, dass eine Trennung von Familien aufgrund der Inhaftnahme der Eltern nur in äussersten Ausnahmefällen angeordnet werden kann[12]. Es ist stets gründlich zu prüfen, ob ein milderes Mittel als die Inhaftierung der Eltern (und demzufolge die Trennung der Familie) zur Verfügung steht, zum Beispiel die Unterbringung der Familie in kantonalen Unterkünften[13]. Insofern stellt das Urteil auch klar, dass sich die im Zuge der Reform der Dublin-Verordnung 2014 neu ins AuG eingefügte Rechtsgrundlage für die Dublin-Haft in Art. 76a AuG von den vorher geltenden Art. 75 Abs. 1 bis und 76 Abs. 1 lit. a AuG erheblich unterscheidet, die nach einem Dublin-Entscheid eine Inhaftnahme ohne weitere Voraussetzungen erlaubten[14]. Dieser Unterschied scheint in der Praxis noch nicht ganz angekommen zu sein[15].

Konkret beruht Art. 76a AuG auf Art. 28 der Dublin-III-Verordnung, der wiederum in seinem Abs. 4 auf Art. 9 der Aufnahmerichtlinie[16] verweist[17]. Zu Art. 28 der Dublin-III-Verordnung gibt es bislang jedoch nur ein einziges Urteil des EuGH[18], so dass viele rechtliche Fragen noch offen sind[19]. Die Rechtsprechung des EuGH zur Dublin-Verordnung ist aufgrund des Dublin-Assoziierungsabkommens[20] für die Schweiz verbindlich[21]. Insbesondere führen wesentliche Abweichungen in der Rechtsprechung zur Auslösung des Beendigungsmechanismus‘ (Art. 6 Abs. 1 und 7 DAA).

In Dublin-Verfahren müssen im Übrigen die Regelungen der Dublin-III-Verordnung zur Haft aufgrund ihres grundrechtsrelevanten Charakters und der Logik des Systems der Verordnung als abschliessend betrachten werden; darüber hinausgehende Regelungen (sei es in zeitlicher Hinsicht, sei es aufgrund anderer als der in der Dublin-III-Verordnung genannten Umstände), namentlich Art. 76a Abs. 3 lit. b AuG und Art. 76a Abs. 4 AuG, sind daher europarechtswidrig[22]. Sofern diese Normen strafenden Charakter haben (wie die Haft wegen unkooperativen Verhaltens nach Art. 76a Abs. 4 AuG), sind sie darüber hinaus auch EMRK-widrig[23].

Äusserst bedauerlich ist schliesslich, dass das Bundesgericht zu Art. 3 EMRK ausführt, die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung sei «knapp noch nicht» erreicht[24], und zu Art. 5 EMRK gar keine inhaltliche Position bezieht. Hier wären klare Vorgaben wünschenswert gewesen. Dennoch ist das Urteil ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Die Zuger Sicherheitsdirektion kritisierte allerdings, dass das Urteil in letzter Konsequenz bedeute, dass es in der Praxis kaum mehr möglich sein werde, nicht rückreisewillige Familien auszuweisen. Es gebe schweizweit keine familiengerechten Unterbringungsmöglichkeiten bei der Administrativhaft[25]. Hiergegen lässt sich einwenden, dass eine Haftanordnung gegen Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren nach Art. 80a Abs. 5 AuG ohnehin ausgeschlossen ist. Die Untertauchensgefahr bei Familien mit kleinen Kindern scheint zudem durch die Behörden stark überschätzt zu werden[26].



[1] Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31–59.

[2] Familie A. hatte nach eigenen Angaben die Identitätspapiere der Kinder nicht zurückerhalten und verweigerte daher die Rückkehr nach Norwegen.

[3] Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20).

[4] Die Beschwerde wurde ausschliesslich im Namen der Eltern, nicht jedoch im Namen ihrer Kinder erhoben.

[5] Konvention vom 28. November 1974 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; SR 0.101).

[6] Urteil des EGMR 11593/12 vom 12. Juli 2016 (A.B. und andere gegen Frankreich), Rn. 109; Urteil des EGMR 13178/03 vom 12. Oktober 2006 (Mubilanzila Mayeka und Kaniki Mitunga gegen Belgien), Rn. 53 ff., Rn. 61, Rn. 83.

[7] Erlassen 2014 in Erfüllung der Vorgaben der Dublin-III-Verordnung (2013), die aufgrund des Dublin-Assoziierungsabkommens CH-EU (Fn. 19) durch die Schweiz umzusetzen sind, vgl. Botschaft über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) Nr. 603/2013 und (EU) Nr. 604/ 2013 vom 7. März 2014 (BBl 2014 2675), S. 2689. Die Bestimmungen sind seit dem 1. Juli 2015 in Kraft.

[8] BGE 142 I 135 E. 4.1. S. 150.

[9] Urteil des EGMR 22414/93 vom 15. November 1996 (Chahal gegen The United Kingdom), Rn. 111 ff; Urteil des EGMR 4691/06 vom 2. Dezember 2010 (Jusic gegen Schweiz), Rn. 71; Urteil des EGMR 11593/12 vom 12. Juli 2016 (A.B. und andere gegen Frankreich), RN. 120; Urteil des EGMR 39472/07 und 39474/07 vom 19. Januar 2012 (Popov gegen Frankreich), Rn. 120.

[10] Ein Zitat dieser Rechtsprechung fehlt an dieser Stelle des Urteils. Gemeint sind aber wohl insbesondere Urteil des EGMR 11593/12 vom 12. Juli 2016 (A.B. und andere gegen Frankreich) und Urteil des EGMR 13178/03 vom 12. Oktober 2006 (Mubilanzila Mayeka und Kaniki Mitunga gegen Belgien).

[12] Im Gegensatz zum faktischen Freiheitsentzug beim Verbleib mit den inhaftierten Eltern; vgl. dazu Urteil des EGMR 11593/12 vom 12. Juli 2016 (A.B. und andere gegen Frankreich), Rn. 122 ff.

[12] S. auch Hruschka/Nufer, Erste Erfahrungen mit der neuen Dublin-Haft, Jusletter 22. Mai 2017, Rn. 27.

[13] Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zug hat hierauf allerdings zu bedenken gegeben, dass dort «keine Bewachung oder Begleitung rund um die Uhr sichergestellt werden» könnten; s. Stellungnahme zu Bundesgerichtsurteil, 16. Mai 2017.

[14] S. auch Hruschka/Nufer (Fn. 11), Rn. 29.

[15] Es ist in diesem Zusammenhang auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die mögliche Dauer der Inhaftierung eine Maximaldauer ist, aber nicht automatisch davon ausgegangen werden darf, dass die Inhaftierung für die gesamte Dauer auch rechtmässig ist. Dies ist vielmehr im Einzelfall zu prüfen. Es gilt das Beschleunigungsgebot. Vgl. Hruschka/Nufer (Fn. 11), Rn. 17.

[16] Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 96–116. Vgl. hieRnu Urteil des EuGH C-601/15 vom 16. Februar 2016.

[17] Dadurch werden nach der hier vertretenen Auffassung Art. 9, 10 und 11 der Aufnahmerichtlinie (obschon die Schweiz nicht an die Aufnahmerichtlinie gebunden ist) auch für die Schweiz verbindlich, da sie integrierender Bestandteil der Dublin-Verordnung geworden sind. Es kann nämlich nicht von der Rechtsetzungstechnik abhängen (wörtliches Hineinkopieren der Vorschriften in die andere Norm oder Verweis), ob eine Norm verbindlich ist. Dieser Auffassung ist der Gesetzgeber gefolgt, vgl. Art. 81 Abs. 4 lit. b AuG. Vgl. auch Hruschka/Nufer (Fn. 11), Rn. 2 und Fn. 4.

[18] Urteil des EuGH C-528/15 vom 15. März 2017 (Policie ČR, Krajské ředitelství policie Ústeckého kraje, odbor cizinecké policie gegen Salah Al Chodor, Ajlin Al Chodor, Ajvar Al Chodor).

[19] S. auch Hruschka/Nufer (Fn. 11), Rn. 2, 26.

[20] Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft vom 26. Oktober 2004 über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags (Dublin-Assoziierungsabkommen), SR 0.142.392. 68.

[21] Dies wird zwar im Abkommen nicht ausdrücklich statuiert, es geht aber inzident davon aus, z.B. in Art. 6 und 7 DAA.

[22] S. auch Hruschka/Nufer (Fn. 11), Rn. 5 f., Rn. 16; Hruschka, Die rechtliche Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben für die Haft in Schengen- und Dublin-Fällen in der Schweiz, in: Breitenmoser/Gless/Lagodny (Hrsg.), Schengen und Dublin in der Praxis, Aktuelle Fragen, 2015, Rn. 341 ff., Rn. 347, Rn. 351.

[23] Urteil des EGMR 67474/11 vom 18.4.2013 (Azimov gegen Russland), Rn. 172: «detention with a view to expulsion should not be punitive in nature».

[24] Da die Beschwerdeführenden nur die Verletzung eigener Rechte, nicht aber die Rechte ihrer Kinder, gerügt hatten, musste das Bundesgericht die etwas sperrig wirkende Konstruktion des EGMR zu «nahen Familienangehörigen» zur Hilfe nehmen. Weil die Unterbringung im Kinderheim kindgerecht war, soll dies laut Bundesgericht keine unmenschliche Behandlung der Eltern darstellen, da die Eltern aus dieser Gewissheit «Zuversicht» schöpfen konnten.

[25] Sicherheitsdirektion des Kantons Zug, Stellungsnahme vom 16. Mai 2017 zu Bundesgerichtsurteil.

[26] Nach Art. 76a AuG darf eine Person aber nur in Haft genommen werden, wenn «konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass die Person sich der Durchführung der Wegweisung entziehen will». Bei Familien mit kleinen Kindern, die auf eine kindgerechte Unterbringung und Ernährung angewiesen sind, erscheint es jedenfalls erheblich weniger wahrscheinlich, dass diese untertauchen, als bei alleinstehenden, körperlich belastbaren jungen Asylsuchenden.