I. Einleitung[1]
Flüchtlinge und Schutzsuchende sind Personen, die Opfer von
Verfolgung, Krieg und schwersten Menschenrechtsverletzungen geworden oder
davon bedroht sind. Ist ihr Herkunftsstaat nicht in der Lage oder nicht
willens, diese Personen zu schützen, räumt ihnen das
Völkerrecht unter gewissen Bedingungen einen Anspruch auf
internationale Schutzgewährung in einem anderen Staat ein.
Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA sind die
Medienberichterstattung und politische Diskussion über
Flüchtlinge in westlichen Staaten aber oftmals nicht mehr von deren
Schutzbedürfnis, sondern von dem von ihnen angeblich ausgehenden
Sicherheitsrisiko geprägt. In seiner Reaktion auf die
Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA rief der
UN-Sicherheitsrat mit der bindenden Resolution 1373 (2001) die Staaten
nicht nur dazu auf, eine Reihe von Massnahmen zur Bekämpfung des
internationalen Terrorismus zu ergreifen, sondern gleichzeitig auch dazu,
die Ausschlussklauseln der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK[2]) strikt anzuwenden und
sicherzustellen, dass die Asylgewährung nicht von Personen
missbraucht werde, um terroristische Taten zu begehen, zu organisieren
oder zu erleichtern. Obwohl keiner der Attentäter sich vor den
Anschlägen als Flüchtling oder Asylsuchender in den USA
aufgehalten hatte, scheinen Schutzsuchende seither immer wieder mit dem
internationalen Terrorismus in Verbindung gebracht zu werden, und zwar
nicht als dessen Opfer, sondern vielmehr als Verursacher und Täter.
Als bedauerliche Konsequenz ist mittlerweile der Eindruck entstanden, dass
alle Schutzsuchende potentiell gefährlich sind[3]. Das jüngste
Beispiel dafür ist der von US-Präsident Trump Ende Januar 2017
verfügte Aufnahmestopp für syrische Flüchtlinge. So solle
unter anderem verhindert werden, dass mit den Flüchtlingen auch
radikal-islamistische Terroristen in die USA einreisen und dort
terroristische Anschläge verüben könnten[4].
Aber wie geht das Asylrecht tatsächlich mit mutmasslich
gefährlichen Flüchtlingen um? Haben diese überhaupt
Anspruch auf Asylgewährung? Und sind im Rahmen des «Kampfes
gegen den Terrorismus» weitere Verschärfungen der
Asylgesetzgebung oder gar vorübergehende Einreisesperren
gerechtfertigt?
Sicherheitsüberlegungen haben im Flüchtlings- und Asylrecht nicht
erst seit Beginn dieses Jahrtausends und insbesondere nicht erst seit den
Terroranschlägen vom 11. September 2001 eine Rolle gespielt. Die
Staaten waren sich der Gefahr, dass nicht nur «echte»
Flüchtlinge, sondern auch sogenannte
«Justizflüchtlinge» und asylunwürdige Personen wie
z.B. Kriegsverbrecher oder Mitglieder terroristischer Organisationen um
Schutz ersuchen könnten, seit jeher bewusst. Die Gefahr des
Missbrauchs des internationalen Schutzsystems durch solche Personen wurde
damals jedoch nicht als Grund interpretiert, die Schutzwürdigkeit
aller Flüchtlinge in Zweifel zu ziehen. Vielmehr sahen sich die
Staaten veranlasst, in fast alle internationalen und regionalen Abkommen
entsprechende Bestimmungen aufzunehmen, um solche Personen von der
Schutzgewährung auszuschliessen oder sie unter eng festgelegten
Bedingungen und bei besonderer Gefährlichkeit auch trotz
Schutzbedürftigkeit wieder aus ihrem Staatsgebiet auszuweisen, d.h.
vom völkerrechtlich garantierten Refoulement-Schutz
auszunehmen. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 erwies sich
dabei als dasjenige völkerrechtliche Abkommen, welches die
differenziertesten Mechanismen zum Schutz der Sicherheit der
Aufnahmestaaten und der internationalen Gemeinschaft vorsieht[5].
Nichtsdestotrotz wird aktuell vermehrt die Frage aufgeworfen, ob
internationale Instrumente wie die Genfer Flüchtlingskonvention und
die völkerrechtlichen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte auch den
heutigen sicherheitspolitischen Herausforderungen nach wie vor angemessen
Rechnung tragen können[6]. Immer häufiger
berufen sich Aufnahmestaaten auf ihre Souveränität und ihre
Schutzverpflichtungen gegenüber den eigenen Staatsangehörigen,
um Einschränkungen der völker- und menschenrechtlichen
Garantien gegenüber ausländischen Staatsangehörigen im
Allgemeinen und Asylsuchenden und Flüchtlingen im Besonderen zu
rechtfertigen[7].
II. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit im gemeinsamen
Europäischen Asylsystem
Sicherheitsüberlegungen haben von Anfang an auch das gemeinsame
Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten im Bereich der Asylpolitik geprägt.
Die ersten gemeinsamen asylrechtlichen Regelungen zu Beginn der Neunziger
Jahre sollten primär das Sicherheitsdefizit kompensieren, welches
durch den Wegfall der Binnengrenzkontrollen entstehen würde[8]. Sekundärbewegungen
von Flüchtlingen und Schutzsuchenden innerhalb der Europäischen
Union wurden in erster Linie als ein Problem der illegalen Einreise und
Weiterreise von Drittstaatsangehörigen betrachtet, welches mit den
ausgearbeiteten Zuständigkeitsregeln zur Behandlung eines
Asylgesuchs bekämpft werden sollten[9].
Nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages[10] am 1. Mai 1999 ist es
in der Folge auch im Rahmen der Asylrechtsharmonisierung zu einer
Vermischung von sicherheitspolitischen und humanitären Anliegen
gekommen. Bis heute scheint das gemeinsame Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten
im Asylbereich stark von den übergeordneten Zielen eines effektiven
Aussengrenzschutzes und der Bekämpfung der irregulären Einreise
und Weiterreise von Flüchtlingen und Schutzsuchenden, und weit weniger
von humanitären Motiven geprägt, auch wenn die Europäische
Union zumindest offiziell stets den dem europäischen Asylrecht zu
Grunde liegenden Schutzgedanken und die Wichtigkeit der Einhaltung der
völkerrechtlichen Vorgaben betont.
Diese Vorgaben waren auch bei der Ausarbeitung der sogenannten
Qualifikationsrichtlinie über die Anerkennung von Personen als
Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte (im Folgenden: RL
2011/95)[11] zu beachten.
Neben der Asylgewährung für Flüchtlinge sollen
grundsätzlich diejenigen Personen sogenannt subsidiären Schutz
erhalten, welche nicht Flüchtlinge im rechtlichen Sinn sind, bei einer
Rückkehr in ihr Heimatland jedoch schwere Menschenrechtsverletzungen
befürchten müssen (Art. 2 lit. f RL 2011/95)[12]. Die
Qualifikationsrichtlinie enthält allgemeine Vorgaben für die
Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz (Art. 4-8 RL
2011/95), legt die Bedingungen für die Anerkennung als
Flüchtlinge (Art. 9-14 RL 2011/95) und die Gewährung
subsidiären Schutzes (Art. 15-19 RL 2011/95) fest und regelt den
Inhalt des internationalen Schutzes (Art. 20-35 RL 2011/95). Während
die erste Fassung von 2004 lediglich Mindestnormen festlegte, soll die
revidierte Richtlinie von 2011 nun einheitliche Vorgaben zur Prüfung
der Anträge und einen einheitlichen Status festlegen. Viele
Bestimmungen der ersten Fassung wurden jedoch unverändert in die RL
2011/95 übernommen[13]. So auch die zahlreichen Bestimmungen, welche vor dem Hintergrund der
verstärkten Massnahmen zur Bekämpfung des internationalen
Terrorismus in die erste Fassung von 2004 aufgenommen wurden. Diese
Bestimmungen zielen direkt oder indirekt auf den Schutz der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung und sehen zu diesem Zweck
Einschränkungen der Rechte von Flüchtlingen und Schutzsuchenden
vor. Im Folgenden sollen diese Bestimmungen dargestellt und kurz auf ihre
Kompatibilität mit den völkerrechtlichen Vorgaben untersucht
werden.
III. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit im Rahmen der
Qualifikationsrichtlinie 2011/95
Die Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie 2011/95, welche dem Schutz
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen oder sich (indirekt)
darauf auswirken können, lassen sich in drei Kategorien einteilen:
1. Der Ausschluss mutmasslich gefährlicher Personen von der
internationalen Schutzgewährung
Nicht alle Personen, die internationalen Schutzes bedürfen, sollen
auch als Flüchtlinge anerkannt werden: Personen, die in ihrem
Herkunftsstaat zwar von Verfolgung oder von schweren
Menschenrechtsverletzungen bedroht sind, jedoch vor ihrer Gesuchstellung
mutmasslich schwere Verbrechen begangen haben, gelten gemäss den
Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 1 F GFK) und auch
der Richtlinie 2011/95 (Art. 12 Abs. 2 lit. a-c) als schutzunwürdig
und sollen daher von der Anerkennung als Flüchtlinge ausgeschlossen
werden. Durch den Ausschluss dieser Personen soll der Missbrauch der durch
die Qualifikationsrichtlinie gewährten Rechte verhindert und
sichergestellt werden, dass diese Personen nicht auf dem
«Asylweg» einer strafrechtlichen Verfolgung entgehen können[14].
Im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung scheint in den letzten
Jahren insbesondere der Ausschluss aufgrund von Handlungen, die den Zielen
und Grundsätzen der UN zuwiderlaufen (Art. 1 F lit. c GFK bzw. Art. 12
Abs. 2 lit. c RL 2011/95), an Attraktivität gewonnen zu haben. Dazu
lässt sich zusammenfassend festhalten, dass dieser Ausschlussgrund im
Hinblick auf die Normadressaten und die erfassten Taten weiterhin von
vielen begrifflichen Unsicherheiten geprägt ist. Grundsätzlich
sollte er im Verhältnis zu den übrigen Ausschlussgründen nur
subsidiär zur Anwendung kommen. Mutmassliche Terroristen können
zwar von diesem Ausschlussgrund erfasst werden, allerdings bleibt die
sorgfältige Prüfung der Umstände des Einzelfalles weiterhin
unabdingbar. Nicht zulässig ist daher gemäss EuGH ein
automatisierter Ausschluss von Personen, die z.B. auf sogenannten
Terrorlisten des UNSicherheitsrates oder der EU aufgeführt sind[15].
Die Ausschlussgründe in Art. 12 Abs. 2 lit. a-c RL 2011/95 finden auch
auf Personen Anwendung, die sich an den genannten Taten beteiligt haben
(Art. 12 Abs. 3 RL 2011/95). Dieses Vorgehen scheint insbesondere bei den
schwersten internationalen Verbrechen und ähnlich schwerwiegenden
Handlungen gerechtfertigt. Erforderlich bleibt allerdings, dass die
Beteiligungshandlung eine gewisse Erheblichkeit für die Begehung der
Haupttat aufweist. Und so werden auch im Zusammenhang mit der
Terrorismusbekämpfung bloss unerhebliche
Unterstützungshandlungen von Sympathisanten einer terroristischen
Organisation nicht von den Ausschlussklauseln erfasst. Im Gegenzug ist es
aber auch nicht erforderlich, dass der Antragsteller persönlich und
durch eigene Gewaltbeiträge terroristische Verbrechen begangen haben
muss. Die Anforderungen an einen Nachweis der persönlichen Beteiligung
sinken zudem, je gewalttätiger die terroristische Organisation ist:
Sofern ein Gesuchsteller freiwillig Mitglied einer besonders
gewalttätigen terroristischen Organisation ist, wird generell
vermutet, dass er in irgendeiner Weise einen entscheidenden Beitrag zur
Ausführung gewalttätiger Handlungen geleistet hat. In derartigen
Fällen kommt es zu einer Beweislastumkehr und der Antragsteller muss
beweisen, dass er weder Kenntnis von den strafbaren Handlungen hatte noch
einen wesentlichen Beitrag zu diesen geleistet hat[16].
Die Qualifikationsrichtlinie 2011/95 überträgt die
Ausschlussgründe der Flüchtlingskonvention in leicht
modifizierter und zusätzlich erweiterter Form auch auf die
subsidiäre Schutzgewährung (Art. 17 RL 2011/95). Solange dadurch
das menschenrechtliche Minimum – nämlich das absolute Verbot der
Zurückweisung, Abschiebung oder Auslieferung in einen Staat, in dem
Folter oder andere unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder
Bestrafung drohen – nicht berührt wird, ist dieses Vorgehen aus
völkerrechtlicher Sicht zwar bedenklich, grundsätzlich aber
zulässig. Da die Ausschlussklauseln des Art. 17 RL 2011/ 95 wesentlich
weiter gefasst sind als diejenigen des Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95, ist eine
Person, die von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist,
automatisch auch von der subsidiären Schutzgewährung
ausgeschlossen. Folglich entfällt dadurch – zumindest bei
Personen, die von einem oder mehreren Ausschlussgründen erfasst
werden – die Funktion des «ergänzenden»
menschenrechtlichen Schutzes, als welcher der subsidiäre Schutz
ursprünglich konzipiert war.
Darüber hinaus formuliert die Qualifikationsrichtlinie auch die
Ausnahme vom flüchtlingsrechtlichen Verbot der Rückweisung ins
Herkunftsland um, wenn die Person eine Gefahr für die Allgemeinheit
oder die Sicherheit des Aufnahmestaates darstellt (Art. 33 Abs. 2 GFK), und
schafft im Rahmen der subsidiären Schutzgewährung einen
zusätzlichen, zwingenden Ausschlussgrund. Eine Rückweisung
gemäss Qualifikationsrichtlinie ist bereits dann gerechtfertigt, wenn
«schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen», dass die
schutzsuchende Person ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko darstellt. Im
Rahmen des internationalen Menschenrechtsschutzes ist eine solche Ausnahme
aber gerade auch für mutmassliche Terroristen weder vorgesehen noch
zulässig[17]. Hier
wird deutlich, dass die Gefahr besteht, dass durch die
Qualifikationsrichtlinie völkerrechtliche Konzepte vermischt werden.
Hinsichtlich der Beweisanforderungen im Rahmen der Ausschlussklauseln von
der Flüchtlingseigenschaft hat die Qualifikationsrichtlinie in Art.
12 Abs. 2 RL 2011/95 die Formulierung von Art. 1 F GFK («wenn
schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen»)
übernommen, ohne diese zusätzlich zu präzisieren. Diese
Beweisanforderungen wurden gleichzeitig auch für den Ausschluss von
der subsidiären Schutzgewährung gemäss Art. 17 Abs. 1 RL
2011/95 für massgeblich erklärt. Die Flüchtlingskonvention
selbst enthält keine Hinweise zur Auslegung des unbestimmten
Rechtsbegriffes der «schwerwiegenden Gründe», und auch die
bisherige Rechtsprechung des EuGH zu den Beweisanforderungen ist wenig
aufschlussreich. Im Ergebnis gibt die unbestimmte Formulierung den
rechtsanwendenden Behörden somit ein grosses Ermessen und
überträgt ihnen die Kompetenz für quasijudikative
Entscheidungen, was gerade angesichts der schwerwiegenden Konsequenzen
eines Ausschlusses als sehr problematisch erscheint[18].
2. Die Einschränkung der Statusrechte zum Schutz der
öffentlichen Sicherheit
Die Qualifikationsrichtlinie gewährt als erstes verbindliches
internationales Instrument nicht nur anerkannten Flüchtlingen,
sondern auch subsidiär Schutzberechtigten eine Reihe materieller
Statusrechte, was als eine bedeutende Verbesserung des internationalen
Schutzes zu bewerten ist. Denn während die Flüchtlingskonvention
zumindest gewisse Grundsätze zur Rechtsstellung anerkannter
Flüchtlinge im Aufnahmestaat enthält (wie den gleichberechtigten
Zugang zum Arbeitsmarkt oder der öffentlichen Fürsorge), lassen
sich aus den menschenrechtliche Verträgen lediglich ein Bleiberecht
und der Grundsatz der menschenwürdigen Behandlung herleiten.
Eigentliche Statusrechte für Personen, welchen in ihrem
Herkunftsstaat schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, gewährt
das Völkerrecht jedoch nicht.
Die Qualifikationsrichtlinie 2011/95 wollte auch für diese Personen
einen in allen Mitgliedstaaten einheitlichen Status gewährleisten.
Gemäss Erwägungsgrund 12 besteht das wesentliche Ziel der
Richtlinie darin «sicherzustellen, dass diesen
[schutzbedürftigen] Personen in allen Mitgliedstaaten ein
Mindestniveau von Leistungen geboten wird». Dieses Mindestniveau
für Flüchtlinge und subsidiär Schutzbedürftige soll
insbesondere auch den Zugang zu Leistungen der Sozialhilfe und der
medizinischen Versorgung umfassen (Erwägungsgründe 45, 46 RL
2011/95).
Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung können
einige dieser Statusrechte aber auch eingeschränkt oder gar
verweigert werden: Aus Sicherheitsgründen kann z.B. die Erteilung
eines Aufenthaltstitels verweigert und ein bereits erteilter
Aufenthaltstitel widerrufen oder nicht verlängert werden[19]. Die Richtlinie sieht
ähnliche Einschränkungen auch hinsichtlich der Erteilung von
Reisedokumenten vor[20].
Diese Ausnahmetatbestände sind grundsätzlich restriktiv
auszulegen. Wenn nur «zwingende» Gründe eine
Einschränkung zulassen (wie in Art. 24, 25 RL 2011/95), sind die
Anforderungen noch höher anzusetzen.
Eine sorgfältige Analyse kommt zum Ergebnis, dass die vorgesehenen
Einschränkungen der Statusrechte von Flüchtlingen im Einklang
mit den Vorgaben der Flüchtlingskonvention stehen[21]. Da das
menschenrechtliche Rückweisungsverbot aus Sicherheitsgründen
nicht einschränkbar ist, ist Flüchtlingen und subsidiär
Schutzberechtigten, welche die Voraussetzungen gemäss der
Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK[22] erfüllen, ein
Bleiberecht im jeweiligen Mitgliedstaat auch dann zu gewähren, wenn
ihnen gemäss RL 2011/95 aus Sicherheitsüberlegungen kein
Aufenthaltstitel ausgestellt oder ein solcher entzogen wurde. Die
Garantien der EU-Grundrechtscharta, welche insbesondere die Wahrung der
Menschenwürde, die Achtung des Privat- und Familienlebens sowie die
Rechte des Kindes verankert, sichern in solchen Fällen den
schutzberechtigten Personen eine menschenwürdige Behandlung und ein
gewisses Mindestmass an Schutz zu.
3. Die Beendigung der Schutzgewährung aus
Sicherheitsüberlegungen
Erweist sich ein Flüchtling oder eine subsidiär
schutzberechtigte Person als Sicherheitsrisiko und kann diesem Risiko mit
straf- und sicherheitsrechtlichen Massnahmen des nationalen Rechts (vgl.
Art. 2 und 9 GFK) nicht angemessen begegnet werden, kann die
internationale Schutzgewährung auch beendet werden. Die betroffene
Person bleibt aus rechtlicher Sicht weiterhin Flüchtling, verliert
aber ihr Aufenthaltsrecht im Aufnahmestaat.
Bereits die Flüchtlingskonvention sieht in Art. 32 vor, dass aus
Gründen der Staatssicherheit ein anerkannter Flüchtling aus dem
Aufnahmestaat ausgewiesen werden kann. Vorausgesetzt wird, dass der
Ausweisungsentscheid in einem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren
getroffen wird und der Flüchtling Beweise zu seiner Entlastung
vorbringen kann, sofern keine zwingenden Gründe der Staatssicherheit
dem entgegenstehen (Art. 32 Abs. 2 GFK). Muss der Flüchtling den
Aufnahmestaat verlassen, ist ihm eine angemessene Frist einzuräumen,
um ihm zu ermöglichen, in ein anderes Land einzureisen. Während
dieser Ausreise, sind zusätzliche (sichernde) Massnahmen, die für
notwendig befunden werden (z.B. eine Ausschaffungshaft),
ausdrücklich erlaubt (Art. 32 Abs. 3 GFK).
Die Ausweisung in den Verfolgerstaat ist grundsätzlich verboten (sog. Refoulement-Verbot, Art. 33 Abs. 1 GFK). Einzig wenn der
Flüchtling als Gefahr für die Sicherheit des Aufnahmelandes oder
als Bedrohung für die Gemeinschaft angesehen werden muss, weil er
wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt
wurde, ist es ihm verwehrt, sich auf das Refoulement-Verbot zu
berufen (Art. 33 Abs. 2 GFK).
Die Qualifikationsrichtlinie folgt dieser klaren Systematik der
Flüchtlingskonvention jedoch nicht und vermischt Ausschluss- und
Ausweisungsgründe. Gemäss Art. 14 Abs. 4 RL 2011/95 kann die
Flüchtlingseigenschaft aus Sicherheitsgründen aberkannt oder
beendet werden. Anstatt auf Art. 32 GFK bezieht sich die Richtlinie in
dieser Bestimmung aber auf die Ausnahmetatbestände des Refoulement-Verbotes in Art. 33 Abs. 2 GFK. Diese falsche
Bezugnahme ist systematisch unsauber; aufgrund der höheren
inhaltlichen Anforderungen von Art. 33 Abs. 2 GFK und unter Vorbehalt der
Verfahrensgarantien von Art. 32 GFK bleibt sie aus völkerrechtlicher
Sicht aber zulässig. Irreführend scheint hier einzig die
Formulierung der «Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft» zu
sein, bleibt die Person aus völkerrechtlicher Sicht doch trotz
Ausweisung Flüchtling.
Aus denselben Gründen (Gefahr für die Sicherheit oder eine
Bedrohung der Gemeinschaft) und solange noch kein Anerkennungsentscheid
getroffen wurde, können die Mitgliedstaaten im Weiteren davon absehen,
einem Flüchtling den unionsrechtlichen Status als Flüchtling
überhaupt zuzuerkennen (Art. 14 Abs. 5 RL 2011/95). Faktisch stellt
diese Variante einen zusätzlichen Ausschlussgrund dar und ist nicht
völkerrechtskonform. Dieselbe Schlussfolgerung muss auch für die
nachträgliche Anwendung der Ausschlussgründe von Art. 12 (Art.
14 Abs. 3 lit. a RL 2011/95), d.h. die Sanktionierung von
schutzunwürdigem Verhalten des Flüchtlings nach der Zuerkennung
der Flüchtlingseigenschaft gelten.
Die Richtlinie stellt es den Mitgliedstaaten frei, von den Vorgaben der
Flüchtlingskonvention abzuweichen, anstatt eindeutig
völkerrechtskonforme Lösungen vorzusehen. Die Bedenken
hinsichtlich der Völkerrechtskonformität der
Beendigungsklauseln versucht sie durch sprachliche Anpassungen zu
entschärfen. So wird die Umsetzung ins Ermessen der Mitgliedstaaten
gestellt, welche selbstverständlich weiterhin vollumfänglich an
ihre Verpflichtungen als Vertragsstaaten der GFK gebunden sind. Das
Vorgehen des Unionsgesetzgebers, potentiell klar völkerrechtswidrige
Varianten überhaupt vorzusehen, deren Umsetzung dann aber ins Ermessen
der Staaten zu stellen, ist eher fragwürdig und als scheinbare
Legalisierung eines nicht völkerrechtskonformen Verhaltens zu
kritisieren[23].
Im Rahmen der subsidiären Schutzgewährung sind Personen, welche
eine Gefahr für die Sicherheit oder eine Bedrohung der Gemeinschaft
darstellen, wie bereits erwähnt[24] zwingend von der
Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus auszuschliessen (Art. 17
Abs. 1 lit. d). Die Ausschlussgründe in Art. 17 RL 2011/95 kommen
zudem auch nachträglich zur Anwendung und können zu einer
Beendigung der Schutzgewährung führen (Art. 19 RL 2011/95).
Solange die Beendigung des unionsrechtlichen subsidiären
Schutzstatus nicht zur Folge hat, dass die Person in einen Staat
ausgewiesen wird, wo sie an Leib und Leben bedroht ist, sind diese
Bestimmungen der Richtlinie als völkerrechtskonform einzustufen.
Problematisch erscheint aber einmal mehr die Vermischung der Zielsetzungen
von Ausschluss- und Ausweisungsbestimmungen. Zudem besteht ein
beachtliches Risiko, dass die zuständigen Behörden in den
Mitgliedstaaten die notwendigen Differenzierungen zwischen dem absolut
geltenden menschenrechtlichen Rückschiebungsschutz und dem
einschränkbaren und beendigungsfähigen unionsrechtlichen
subsidiären Schutzstatus in der Praxis nur schwer nachvollziehen und
umsetzen können. Dies gilt umso mehr, als sich die
Anspruchsvoraussetzungen für den menschenrechtlichen
Rückschiebungsschutz und den unionsrechtlichen subsidiären
Schutzstatus weitestgehend entsprechen.
IV. Würdigung
Diese kurze Erörterung des Inhaltes und der
Völkerrechtskonformität derjenigen Bestimmungen der
Qualifikationsrichtlinie, welche direkt oder indirekt den Schutz der
öffentlichen Sicherheit zum Ziel haben[25], kommt zum Ergebnis,
dass sich diese mit wenigen Ausnahmen[26]
völkerrechtskonform auslegen lassen und sich daher im Rahmen des
völkerrechtlich Zulässigen bewegen. Deutlich wird aber, dass die
Qualifikationsrichtlinie teilweise völkerrechtliche Konzepte
vermischt oder zu vermischen droht, und dass die diskutierten
Bestimmungen, welche aus Gründen der nationalen Sicherheit oder
öffentlichen Ordnung Einschränkungen der Rechte von
Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigen vorsehen, den
Mitgliedstaaten einen erheblichen Beurteilungs- und Ermessenspielraum
einräumen.
Die analysierten Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sehen als
Antwort auf das für sicherheitsgefährdend befundene Verhalten
vor, dass eine Person entweder von der Schutzgewährung ausgeschlossen
(Art. 12 Abs. 2 und Art. 17 Abs. 1 RL 2011/95), ihre Reisefreiheit
innerhalb und ausserhalb der EU eingeschränkt (Art. 24 und 25 RL
2011/95) oder ihre Schutzgewährung bei einer tatsächlichen und
aktuellen Gefahr sogar beendet werden kann (Art. 14 und Art. 19 RL
2011/95). Von der Richtlinie weiterhin nicht geregelt ist der Status von
Personen, die von diesen Bestimmungen erfasst werden. Eindeutig
geklärt scheint lediglich, dass auch eine solche Person nicht in ihr
Herkunftsland aus- oder zurückgewiesen werden darf, wenn sie dort an
Leib und Leben bedroht wäre.
Auf diesem menschenrechtlichen Bleiberecht besteht der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte gemäss ständiger
Rechtsprechung gerade auch bei mutmasslichen Terroristen und weiteren
Personen, von denen eine Gefahr für die Sicherheit des
Aufenthaltsstaates aus geht[27]. Mehrere Staaten haben
sich in neueren Verfahren vor dem Gerichtshof immer wieder gegen diese
absolut geltende Vorgabe gewehrt und vorgebracht, dass die absolute
Geltung des menschenrechtlichen Refoulement-Verbotes den
aktuellen Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus nicht
angemessen Rechnung trage[28]. Bisher hat der EGMR
solche Vorbringen stets zurückgewiesen, und es gibt keine Anzeichen
dafür, dass er seine Rechtsprechung in naher Zukunft ändern wird.
Aber selbst bei einer Änderung der Rechtsprechung bestehen angesichts
der zunehmend globalen Vernetzung und des internationalen Terrorismus
ernsthafte Zweifel, ob die Aus- und Zurückweisung von besonders
gefährlichen Personen tatsächlich ein geeignetes Mittel
wäre, um die innere und äussere Sicherheit der Mitgliedstaaten
und der Union effektiv zu schützen.
Abschliessend bleibt daher festzuhalten, dass die Qualifikationsrichtlinie
2011/95 zwar Bestimmungen enthält, die es den Mitgliedstaaten
erlauben, ihre öffentliche Sicherheit und Ordnung auch im Rahmen von
Entscheidungen über die internationale Schutzgewährung zu
berücksichtigen und grundsätzlich keine zusätzliche
Verschärfung der Asylgesetzgebung angezeigt ist. Gleichzeitig wird
aber auch deutlich, dass selbst die schärfsten Sanktionen des
Asylrechts – die Verweigerung der Schutzgewährung bei
Ausschlussgründen, die Beschränkung der Statusrechte und die
Beendigung der Schutzgewährung – alleine genommen nicht die
geeigneten Mittel sind, um den internationalen Terrorismus effektiv zu
bekämpfen. Dies muss weiterhin die primäre Aufgabe der
Sicherheitsdienste, der Polizei- und Strafverfolgungsbehörden
bleiben. Das Asylrecht kann hier nur eine untergeordnete und
unterstützende Rolle spielen.
[2]
Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge (GFK,
SR 0.142.30).
[3]
Vgl. Penelope Mathew, Resolution 1373 – A Call to Preempt
Asylum Seekers? (or «Osama, the Asylum Seeker»), in: Jane
McAdam, Forced Migration, Human Rights and Security, 2006, S.
19-61, S. 33.
[4]
Executive Order: Protecting the Nation from Foreign Terrorist Entry
into the United States, 27. Januar 2017,
Section 5.
[5]
Egbuna-Joss
(Fn. 1), S. 68 ff.
[6]
Vgl. Brian Gorlick, Brian, (Mis)perception of Refugees, State
Sovereignty and the Continuing Challenge of International
Protection, in: Bayefsky, Anne F. (ed.), Human Rights and
Refugees, Internally Displaced Persons and Migrant Workers, Essays
in Memory of Joan Fitzpatrick and Arthur Helton, 2006, S. 65-89, S.
67; Alice Edwards, Human Rights, Refugees, and the Right «To
Enjoy» Asylum, IJRL (2005), S. 293-330, S. 293 ff.
[7]
So kündigte etwa die britische Premierministerin Theresa May
anfangs Juni 2017 an, sie wolle es den Behörden erleichtern
«
to deport foreign terrorist suspects back to their own
countries
» und «
to restrict the freedom and movements of terrorist suspects
when we have enough evidence to know they are a threat, but not
enough evidence to prosecute them in
full
in court. And if our human rights laws get in the way of doing
it, we will change the law so we can do it.
» bbc.com,
Theresa May: Human rights laws could change for terror fight, 7. Juni 2017.
[8]
Egbuna-Joss
(Fn. 1), S. 75 f.
[9]
Die Zuständigkeitsregeln waren im Schengener
Durchführungsübereinkommen sowie dem Dubliner
Übereinkommen von 1990 enthalten; S. dazu Egbuna-Joss (Fn. 1), S. 76 ff.
[10]
Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über
die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit
zusammenhängender Rechtsakte, ABl.
C 340/1997, S. 1-144; Vertrag zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft (Amsterdam konsolidierte Fassung) ABl.
C 340/1997, S. 173-306.
[11]
Richtlinie
2011/95
über Normen für die Anerkennung von
Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit
Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen
Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht
auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu
gewährenden Schutzes (Neufassung), ABl. 337/ 2011, S. 9.
[12]
Zu den unterschiedlichen Konzepten der subsidiär
Schutzberechtigten im europäischen Recht und den
vorläufig aufgenommenen Personen in der Schweiz s. etwa
Patricia Petermann/ Christine Kauffmann, Die subsidiäre
Schutzform, in: UNHCR/ Schweizerische Flüchtlingshilfe
(Hrsg.), Schweizer Asylrecht, EU-Standards und internationales
Flüchtlingsrecht, Eine Vergleichsstudie, 2009, 67-122.
[13]
Egbuna-Joss
(Fn. 1), S. 143 m.w.H.
[14]
Egbuna-Joss
(Fn. 1), S. 160 m.w.H.
[15]
Urteil des EuGH
C-57/09 und C-101/09
vom 9. November 2010 (B. und D. gegen Deutschland), Rn. 91-99; vgl. Egbuna-Joss (Fn. 1), S. 209 f., S. 211 ff.
[16]
Vgl. Egbuna-Joss (Fn. 1), S. 214 m.w.H.
[17]
Zur relevanten Rechtsprechung des EGMR s. den Überblick bei Egbuna-Joss (Fn. 1), S. 55 ff. m.w.N.
[18]
S. ausführlich Egbuna-Joss (Fn. 1), S. 226 ff.
[19]
S. hierzu Egbuna-Joss (Fn. 1), S. 240 ff. m.w.H.
[20]
S. hierzu Egbuna-Joss (Fn. 1), S. 244 ff. m.w.H.
[21]
S. ausführlich Egbuna-Joss (Fn. 1), S. 234
ff.
[22]
Konvention vom 28. November 1974 zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten (EMRK;
SR 0.101).
[23]
S. hierzu etwa Astrid Epiney, Zeitschrift für
Ausländerrecht 2/2007, S. 64; Constantin Teetzmann,
Europarecht 1/2016, S. 101. Zum Umfang der Bindung des
Unionsgesetzgebers an die grund- und völkerrechtlichen
Vorgaben s. ausführlicher Egbuna-Joss (Fn. 1), S.
118 ff. m.w.H.
[25]
S. eine ausführlichere Zusammenfassung der Ergebnisse bei Egbuna-Joss (Fn. 1), §15, Rn. 20 ff.
[26]
S. Egbuna-Joss (Fn. 1), §15, Rn. 49-52.
[27]
S. den Überblick bei Egbuna-Joss (Fn. 1), S. 55 ff.
[28]
Urteil des EGMR
25425/05
vom 27. Mai 2008 (Ramzy gegen Niederlande), Rn. 130; Urteil des
EGMR
4900/06
vom 27. Mai 2008 (A. gegen Niederlande), Rn. 130; vgl. Egbuna-Joss (Fn. 1), S. 57 f.